Meine persönliche Meinung und ein paar Gedanken zur Berichterstattung über das Konzert mit Mahan Esfahani und Concerto Köln am 28.02.2016 in der Kölner Philharmonie.
Am Wochenende habe ich die Berichterstattung über das Konzert mit Concerto Köln und dem Cembalisten Mahan Esfahani am 28.02.2016 in der Philharmonie Köln verfolgt. In dem Konzert spielte Mahan Esfahani das Stück "Piano Phase" von Steve Reich aus dem Jahr 1967, zu dem er vorher eine Einführung auf Englisch gegeben hat. Als er dann das Stück spielte, äußerte das Publikum so lautstark seinen Unmut, dass Esfahani das Stück unterbrach und sich mit der Frage "Why are you afraid?" direkt an seine Zuhörer wendete. Nach einer Diskussion wurde das Konzert mit den weiteren angekündigten Stücken fortgesetzt und eine Zugabe gegeben.
So weit wohl die Fakten, die ich den verschiedenen Artikeln, die ich gelesen habe, entnehmen konnte. Ich selbst, das muss ich ganz klar sagen, war bei dem Konzert nicht dabei. Doch beim Lesen der Artikel über das Konzert sind mir ein paar Punkte durch den Kopf gegangen, die ich gerne ansprechen würde:
1. Liebe Journalisten: Ein Stück nicht zu Ende zu spielen ist nicht dasselbe wie ein Konzert abzubrechen.
2. Unklare Berichterstattung: Wann genau kam der Zwischenruf: "Sprechen Sie deutsch"?
3. Veranstalter gefordert, das Publikum abzuholen - bspw. durch Informationen, die jeder versteht und jedem zugänglich sind.
4. Nicht immer nur Fachjargon: Neue Musik braucht Mut, aber auch klare, offene Worte.
5. Neue Musik lebt auch Provokation. Solch ein Eklat sollte keine Überraschung sein!
So weit wohl die Fakten, die ich den verschiedenen Artikeln, die ich gelesen habe, entnehmen konnte. Ich selbst, das muss ich ganz klar sagen, war bei dem Konzert nicht dabei. Doch beim Lesen der Artikel über das Konzert sind mir ein paar Punkte durch den Kopf gegangen, die ich gerne ansprechen würde:
1. Liebe Journalisten: Ein Stück nicht zu Ende zu spielen ist nicht dasselbe wie ein Konzert abzubrechen.
2. Unklare Berichterstattung: Wann genau kam der Zwischenruf: "Sprechen Sie deutsch"?
3. Veranstalter gefordert, das Publikum abzuholen - bspw. durch Informationen, die jeder versteht und jedem zugänglich sind.
4. Nicht immer nur Fachjargon: Neue Musik braucht Mut, aber auch klare, offene Worte.
5. Neue Musik lebt auch Provokation. Solch ein Eklat sollte keine Überraschung sein!
1. Liebe Journalisten: Ein Stück nicht zu Ende zu spielen ist nicht dasselbe wie ein Konzert abzubrechen.
Nimmt man nur die Schlagzeilen bzw. einführenden Zusammenfassungen zu vielen Berichten über dieses Konzert (bspw. Focus, Spiegel oder Kölner Stadtanzeiger), so begegnet einem immer wieder die Formulierung, dass das Konzert abgebrochen wurde. Unter einem Konzertabbruch verstehe ich, dass die Künstler aufhören zu spielen, von der Bühne abgehen, das Konzert somit zu Ende ist und die Zuschauer den Saal verlassen.
Liest man dann aber den gesamten Artikel, stellt man fest, dass das Konzert nicht abgebrochen, sondern unterbrochen wurde. Mahan Esfahani hörte auf Reichs "Piano Phase" aus dem Jahr 1967 zu spielen, da es im Publikum wohl durch Buhen, Husten, Zischen etc. zu lautstarken Unmutsäußerungen kam. Mit der Frage "Why are you afraid?" wandte er sich daraufhin direkt an das Publikum und es kam wohl zu einer Diskussion. Danach aber hat Esfahani das nächste im Programm vorgesehene Stück gespielt und auch noch ein Zugabe gegeben.
Es wurde also ein Stück nicht zu Ende gespielt. Alle anderen Werke wurden aufgeführt und sogar eine Zugabe gegeben. Warum also die Formulierung, dass das Konzert abgebrochen wurde? Ich frage mich, ob sich die Verfasser für die spektakulärere Wortwahl "Konzertabbruch" entschieden haben, um mehr Aufmerksamkeit für ihren Artikel zu bekommen?
2. Unklare Berichterstattung: Wann genau kam der Zwischenruf: "Sprechen Sie deutsch"?
Es gab einen Zwischenruf "Sprechen Sie deutsch!", das steht wohl zweifelsfrei fest. Doch wann genau kam er? Laut den Zeitungsartikeln kam er schon während der Einführung, die Mahan Esfahani zu dem Steve Reich-Stück gegeben hat. Laut der Aussage von Mahan Esfahani gegenüber des NDR kam der Zwischenruf erst später, als er das Stück bereits unterbrochen hatte und mit dem Publikum diskutierte.
Ich finde, dass es ein wichtiges Detail ist, wann dieser Zwischenruf stattgefunden hat. Denn je nachdem, wann ein Ereignis geschieht, kann dies ein ganz anderes Licht auf den gesamten Vorfall werfen. Inzwischen strahlt dieser Zwischenruf bzw. das, was mit ihm assoziiert wird, nämlich Fremdenfeindlichkeit, auf den gesamten Vorfall ab. In einigen Veröffentlichungen taucht nämlich die Aussage auf, dass der Künstler wegen seiner Herkunft angefeindet wurde. Der Kommentar von Peter Berger "Viel Harmonie, Philharmonie" im Kölner Stadt-Anzeiger am 5./6. März war denn auch ausschlaggebend für meinen Post. Denn dort wird diese Verknüpfung hergestellt. Herr Berger schreibt: "Es ist die Angst vor dem Fremden im eigenen Land, genauer gesagt, vor einem Cembalisten aus dem Iran, der nicht mal richtig Deutsch spricht und es dann auch noch wagt, das Stück eines amerikanischen Musikminimalisten namens Steve Reich aufzuführen." Wenn aber der Zwischenruf erst später, also in der Diskussion zwischen Künstler und Publikum kam, könnte er nicht einfach dem dringenden Wunsch nach Verstehen entsprungen sein (wenn auch dämlich formuliert)? Journalisten und Esfahani (hier seine Äußerungen selbst nach dem Konzert) sind sich in jedem Fall einig, dass viele im Publikum anscheinend Schwierigkeiten mit dem Stück hatten oder auch einfach keine Lust, sich darauf einzulassen.
Ich weiß nicht, wer da in der zeitlichen Abfolge recht hat und das lässt mich etwas ratlos zurück. Ich hoffe, nur, dass die Journalisten solche Details gut recherchieren, damit sie in der Berichterstattung korrekt dargestellt werden (vor allem, wenn sie nicht selbst bei dem Konzert anwesend waren).
Und: dass viele Zuhörer nichts mit Neuer Musik anfangen können, ist kein unbekanntes Phänomen, wie ich noch anmerken möchte.
3. Veranstalter gefordert, das Publikum abzuholen - bspw. durch Informationen, die jeder versteht und jedem zugänglich sind.
Ganz klar: Dieser Zwischenruf "Sprechen Sie deutsch" ist Sch… und darf nicht passieren. Aber lassen wir mal die Emotionen beseite und betrachten es nüchtern: Vielleicht saßen im Publikum Menschen, die die englische Erklärung tatsächlich nicht verstanden haben.
Und da frage ich mich, ob es einem so großen Haus, wie der Philharmonie Köln nicht gut stehen würde, für eine Einführung, die ein Künstler auf Englisch gibt, eine Übersetzung parat zu haben? Ich fände das eine durchaus nützliche Dienstleistung, die dem Teil des Publikums, das dem Englischen nicht so mächtig ist, auch einen gewissen Respekt entgegenbringt. Vielleicht würde das auch dem vortragenden Künstler einen gewissen Druck nehmen.
Mahan Esfahani sagt gegenüber dem NDR selbst: "Normalerweise spreche ich bei meinen Konzerten in Deutschland Deutsch, aber als ich das Stück von Reich erklären wollte, musste ich das auf Englisch machen, weil ich diese technischen Details nicht auf Deutsch erklären konnte." Wäre es im Vorfeld nicht möglich gewesen, dass Künstler und Philharmonie sich absprechen, um eine Übersetzung für das Konzert zu organisieren? Es hätte beispielsweise ein Mitarbeiter der Philharmonie mit auf die Bühne kommen können, der das Gesagte auf Deutsch übersetzt. Oder einer der Mitglieder von Concerto Köln hätte das übernommen. Damit wäre nicht nur dem Publikum, sondern letztendlich auch dem Künstler geholfen worden.
Denn so wie man Mahan Esfahani zugestehen muss, dass er in einer fremden Sprache bestimmte technische Details nicht so gut erklären kann, sollte man im Gegenzug auch Verständnis für den Teil des Publikums haben, der Schwierigkeiten haben könnte, diese technischen Details in einer ihm ebenfalls fremden Sprache zu verstehen.
Neue Musik kann sehr komplex sein und ist oft eine Herausforderung, da sie so konträr zu unseren Gewohnheiten ist. Und wenn dann noch ein theoretischer Überbau mit technischen Fachbegriffen dazukommt, kann es zu Verständnisschwierigkeiten kommen.
Da reicht es meiner Meinung nach nicht, dass der Intendant, erschreckt über den Eklat, sagt, dass das Programm schon sehr lange im Vorfeld bekannt gewesen ist. Vielmehr müsste man sich die Frage stellen: Haben wir genug dafür getan, dass die Zuhörer wussten, was sie in dem Konzert hören? Gab es ein erklärendes Programmheft, das im Vorfeld zugeschickt wurde, eine Einführungsveranstaltung, die die Stücke vorstellt oder einen Buchtipp, einen Internetlink, der zur Verfügung gestellt wurde? Ich weiß es nicht, vielleicht gibt es diese Services für Abonnenten.
Wenn nicht, dann könnte man so etwas mal ausprobieren. Vielleicht schafft das mehr Verständnis.
4. Nicht immer nur Fachjargon: Neue Musik braucht Mut, aber auch klare, offene Worte.
Was ich in den Artikeln sehr oft gelesen habe (und auch in dem Interview mit Mahan Esfahani) : In dem Konzert saß eben nur wieder das typische "Sonntagnachmittags-Ich habe seit Jahren ein Abo und will immer nur Mozart hören-Publikum".
Ja, ich verstehe, dass man als Künstler frustriert ist, wenn das Publikum nicht offen ist und dass man als Künstler neues ausprobieren und Grenzen erweitern muss. Aber jetzt diese Zuhörer so abzuwerten, hat auch etwas arrogantes. Denn genau diese Abonnenten tragen ihren Teil dazu bei, dass Konzerthäuser existieren und Künstler ein Engagement bekommen. Produktiver und weniger destruktiv wäre es, wenn sich Künstler, Veranstalter und Journalisten Gedanken machen, wie sie dieses Publikum offener für neues machen können. Neugieriger und gespannt auf etwas, das sie noch nicht kennen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich möchte in keiner Weise bornierte Konzertbesucher in Schutz nehmen, denn ich bin sehr dafür, dass man sich in der Musik immer auf neues einlassen sollte. Aber man sollte diejenigen, deren Interesse vielleicht einfach noch nicht geweckt wurde, so gut es geht an die Hand nehmen und ihnen neue Möglichkeiten aufzeigen.
Dazu gehört für mich auch, dass man Klartext redet. Es nützt der Neuen Musik nichts, sie hinter schönfärbenden Worten zu verbergen oder sie musikwissenschaftlich bedeutungsschwer aufzuladen. Neue Musik braucht klare Worte: was erwartet mich da, worauf sollte ich achten, wie lange dauert das Stück, was hat der Künstler sich ganz konkret dabei gedacht etc. Wenn Menschen im Publikum gesessen haben, die eventuell die englische Einführung nicht verstanden haben, dann saßen diese Leute ganz schön auf dem Trockenen. Denn ein solches Stück kann dann sehr lang und anstrengend werden.
Nicht umsonst kranken die Neue Musik-Konzerte nur zu oft daran, dass die Zuhörerzahlen sehr überschaubar sind. Letztes Jahr habe ich ein Konzert im Rahmen von TroisdorfSOUNDSCAPES besucht, bei dem der renommierte Organist Dominik Sustek zeitgenössische Orgelstücke gespielt hat - vor 10 Zuhörern! In einer Kirche, die Sitzplätze für ca. 200 Menschen hat. Das war ein trauriges Bild, aber so ist eben oft die Realität!
Umso löblicher ist es, wenn die Philharmonie den Weg beschreitet, Alte und Neue Musik in einem Konzert zusammenzubringen. Umso dringlicher muss man dann seine Zuhörer mit ins Boot holen.
Daher auch mein Appell an die Künstler, die Philharmonie und all die anderen Konzerthäuser, Spielstätten, Theater oder was weiß ich: Öffnet Euren kulturellen Elfenbeinturm. Schließt Eure Zuhörer nicht aus. Redet mit ihnen, nehmt sie ernst. So können dann beide Seiten voneinander lernen.
5. Neue Musik lebt auch von Provokation. Solch ein Eklat sollte keine Überraschung sein!
Oft wird in den Artikeln geschrieben: "Solche Reaktionen kamen bei Schönberg Anfang des 20. Jahrhunderts vor, heute sollten wir doch viel klüger, weiter, toleranter sein. Außerdem ist das Stück ja schon fast 50 Jahre alt, also ein alter Hut, da muss sich doch keiner mehr drüber aufregen!" Aber, warum denn nicht? Schließlich setzen diese Stück alle unsere erlernten Hörgewohnheiten außer Kraft. Da gibt es nur wenig, woran man sich "festhalten" kann.
So ein Stück kann gar kein alter Hut sein, so lange unsere Hörgewohnheiten so stark von erhebenden Melodien, sanften Harmonien und immer wiederkehrenden Motiven geprägt sind. Da ist die Neue Musik oft eine Zumutung - und ist dann genauso provokativ, wie sie zu ihrer Entstehungszeit war.
Und soll mir doch keiner sagen, dass die Komponisten das nicht auch einkalkuliert haben: die Provokation, das Aufrütteln, extra gegen die Hörgewohnheiten gehen! Viele Komponisten haben doch die Auseinandersetzung mit dem Publikum gesucht. Auch davon lebt die Musik und auch ihr Ruhm, ein wichtiger Komponist zu sein.
Also, abgesehen von der Fremdenhass-Debatte, die über dem ganzen liegt: Ist es nicht irgendwie toll, das Musik auch heute noch solche kontroversen Reaktionen auslösen kann?
Nimmt man nur die Schlagzeilen bzw. einführenden Zusammenfassungen zu vielen Berichten über dieses Konzert (bspw. Focus, Spiegel oder Kölner Stadtanzeiger), so begegnet einem immer wieder die Formulierung, dass das Konzert abgebrochen wurde. Unter einem Konzertabbruch verstehe ich, dass die Künstler aufhören zu spielen, von der Bühne abgehen, das Konzert somit zu Ende ist und die Zuschauer den Saal verlassen.
Liest man dann aber den gesamten Artikel, stellt man fest, dass das Konzert nicht abgebrochen, sondern unterbrochen wurde. Mahan Esfahani hörte auf Reichs "Piano Phase" aus dem Jahr 1967 zu spielen, da es im Publikum wohl durch Buhen, Husten, Zischen etc. zu lautstarken Unmutsäußerungen kam. Mit der Frage "Why are you afraid?" wandte er sich daraufhin direkt an das Publikum und es kam wohl zu einer Diskussion. Danach aber hat Esfahani das nächste im Programm vorgesehene Stück gespielt und auch noch ein Zugabe gegeben.
Es wurde also ein Stück nicht zu Ende gespielt. Alle anderen Werke wurden aufgeführt und sogar eine Zugabe gegeben. Warum also die Formulierung, dass das Konzert abgebrochen wurde? Ich frage mich, ob sich die Verfasser für die spektakulärere Wortwahl "Konzertabbruch" entschieden haben, um mehr Aufmerksamkeit für ihren Artikel zu bekommen?
2. Unklare Berichterstattung: Wann genau kam der Zwischenruf: "Sprechen Sie deutsch"?
Es gab einen Zwischenruf "Sprechen Sie deutsch!", das steht wohl zweifelsfrei fest. Doch wann genau kam er? Laut den Zeitungsartikeln kam er schon während der Einführung, die Mahan Esfahani zu dem Steve Reich-Stück gegeben hat. Laut der Aussage von Mahan Esfahani gegenüber des NDR kam der Zwischenruf erst später, als er das Stück bereits unterbrochen hatte und mit dem Publikum diskutierte.
Ich finde, dass es ein wichtiges Detail ist, wann dieser Zwischenruf stattgefunden hat. Denn je nachdem, wann ein Ereignis geschieht, kann dies ein ganz anderes Licht auf den gesamten Vorfall werfen. Inzwischen strahlt dieser Zwischenruf bzw. das, was mit ihm assoziiert wird, nämlich Fremdenfeindlichkeit, auf den gesamten Vorfall ab. In einigen Veröffentlichungen taucht nämlich die Aussage auf, dass der Künstler wegen seiner Herkunft angefeindet wurde. Der Kommentar von Peter Berger "Viel Harmonie, Philharmonie" im Kölner Stadt-Anzeiger am 5./6. März war denn auch ausschlaggebend für meinen Post. Denn dort wird diese Verknüpfung hergestellt. Herr Berger schreibt: "Es ist die Angst vor dem Fremden im eigenen Land, genauer gesagt, vor einem Cembalisten aus dem Iran, der nicht mal richtig Deutsch spricht und es dann auch noch wagt, das Stück eines amerikanischen Musikminimalisten namens Steve Reich aufzuführen." Wenn aber der Zwischenruf erst später, also in der Diskussion zwischen Künstler und Publikum kam, könnte er nicht einfach dem dringenden Wunsch nach Verstehen entsprungen sein (wenn auch dämlich formuliert)? Journalisten und Esfahani (hier seine Äußerungen selbst nach dem Konzert) sind sich in jedem Fall einig, dass viele im Publikum anscheinend Schwierigkeiten mit dem Stück hatten oder auch einfach keine Lust, sich darauf einzulassen.
Ich weiß nicht, wer da in der zeitlichen Abfolge recht hat und das lässt mich etwas ratlos zurück. Ich hoffe, nur, dass die Journalisten solche Details gut recherchieren, damit sie in der Berichterstattung korrekt dargestellt werden (vor allem, wenn sie nicht selbst bei dem Konzert anwesend waren).
Und: dass viele Zuhörer nichts mit Neuer Musik anfangen können, ist kein unbekanntes Phänomen, wie ich noch anmerken möchte.
3. Veranstalter gefordert, das Publikum abzuholen - bspw. durch Informationen, die jeder versteht und jedem zugänglich sind.
Ganz klar: Dieser Zwischenruf "Sprechen Sie deutsch" ist Sch… und darf nicht passieren. Aber lassen wir mal die Emotionen beseite und betrachten es nüchtern: Vielleicht saßen im Publikum Menschen, die die englische Erklärung tatsächlich nicht verstanden haben.
Und da frage ich mich, ob es einem so großen Haus, wie der Philharmonie Köln nicht gut stehen würde, für eine Einführung, die ein Künstler auf Englisch gibt, eine Übersetzung parat zu haben? Ich fände das eine durchaus nützliche Dienstleistung, die dem Teil des Publikums, das dem Englischen nicht so mächtig ist, auch einen gewissen Respekt entgegenbringt. Vielleicht würde das auch dem vortragenden Künstler einen gewissen Druck nehmen.
Mahan Esfahani sagt gegenüber dem NDR selbst: "Normalerweise spreche ich bei meinen Konzerten in Deutschland Deutsch, aber als ich das Stück von Reich erklären wollte, musste ich das auf Englisch machen, weil ich diese technischen Details nicht auf Deutsch erklären konnte." Wäre es im Vorfeld nicht möglich gewesen, dass Künstler und Philharmonie sich absprechen, um eine Übersetzung für das Konzert zu organisieren? Es hätte beispielsweise ein Mitarbeiter der Philharmonie mit auf die Bühne kommen können, der das Gesagte auf Deutsch übersetzt. Oder einer der Mitglieder von Concerto Köln hätte das übernommen. Damit wäre nicht nur dem Publikum, sondern letztendlich auch dem Künstler geholfen worden.
Denn so wie man Mahan Esfahani zugestehen muss, dass er in einer fremden Sprache bestimmte technische Details nicht so gut erklären kann, sollte man im Gegenzug auch Verständnis für den Teil des Publikums haben, der Schwierigkeiten haben könnte, diese technischen Details in einer ihm ebenfalls fremden Sprache zu verstehen.
Neue Musik kann sehr komplex sein und ist oft eine Herausforderung, da sie so konträr zu unseren Gewohnheiten ist. Und wenn dann noch ein theoretischer Überbau mit technischen Fachbegriffen dazukommt, kann es zu Verständnisschwierigkeiten kommen.
Da reicht es meiner Meinung nach nicht, dass der Intendant, erschreckt über den Eklat, sagt, dass das Programm schon sehr lange im Vorfeld bekannt gewesen ist. Vielmehr müsste man sich die Frage stellen: Haben wir genug dafür getan, dass die Zuhörer wussten, was sie in dem Konzert hören? Gab es ein erklärendes Programmheft, das im Vorfeld zugeschickt wurde, eine Einführungsveranstaltung, die die Stücke vorstellt oder einen Buchtipp, einen Internetlink, der zur Verfügung gestellt wurde? Ich weiß es nicht, vielleicht gibt es diese Services für Abonnenten.
Wenn nicht, dann könnte man so etwas mal ausprobieren. Vielleicht schafft das mehr Verständnis.
4. Nicht immer nur Fachjargon: Neue Musik braucht Mut, aber auch klare, offene Worte.
Was ich in den Artikeln sehr oft gelesen habe (und auch in dem Interview mit Mahan Esfahani) : In dem Konzert saß eben nur wieder das typische "Sonntagnachmittags-Ich habe seit Jahren ein Abo und will immer nur Mozart hören-Publikum".
Ja, ich verstehe, dass man als Künstler frustriert ist, wenn das Publikum nicht offen ist und dass man als Künstler neues ausprobieren und Grenzen erweitern muss. Aber jetzt diese Zuhörer so abzuwerten, hat auch etwas arrogantes. Denn genau diese Abonnenten tragen ihren Teil dazu bei, dass Konzerthäuser existieren und Künstler ein Engagement bekommen. Produktiver und weniger destruktiv wäre es, wenn sich Künstler, Veranstalter und Journalisten Gedanken machen, wie sie dieses Publikum offener für neues machen können. Neugieriger und gespannt auf etwas, das sie noch nicht kennen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich möchte in keiner Weise bornierte Konzertbesucher in Schutz nehmen, denn ich bin sehr dafür, dass man sich in der Musik immer auf neues einlassen sollte. Aber man sollte diejenigen, deren Interesse vielleicht einfach noch nicht geweckt wurde, so gut es geht an die Hand nehmen und ihnen neue Möglichkeiten aufzeigen.
Dazu gehört für mich auch, dass man Klartext redet. Es nützt der Neuen Musik nichts, sie hinter schönfärbenden Worten zu verbergen oder sie musikwissenschaftlich bedeutungsschwer aufzuladen. Neue Musik braucht klare Worte: was erwartet mich da, worauf sollte ich achten, wie lange dauert das Stück, was hat der Künstler sich ganz konkret dabei gedacht etc. Wenn Menschen im Publikum gesessen haben, die eventuell die englische Einführung nicht verstanden haben, dann saßen diese Leute ganz schön auf dem Trockenen. Denn ein solches Stück kann dann sehr lang und anstrengend werden.
Nicht umsonst kranken die Neue Musik-Konzerte nur zu oft daran, dass die Zuhörerzahlen sehr überschaubar sind. Letztes Jahr habe ich ein Konzert im Rahmen von TroisdorfSOUNDSCAPES besucht, bei dem der renommierte Organist Dominik Sustek zeitgenössische Orgelstücke gespielt hat - vor 10 Zuhörern! In einer Kirche, die Sitzplätze für ca. 200 Menschen hat. Das war ein trauriges Bild, aber so ist eben oft die Realität!
Umso löblicher ist es, wenn die Philharmonie den Weg beschreitet, Alte und Neue Musik in einem Konzert zusammenzubringen. Umso dringlicher muss man dann seine Zuhörer mit ins Boot holen.
Daher auch mein Appell an die Künstler, die Philharmonie und all die anderen Konzerthäuser, Spielstätten, Theater oder was weiß ich: Öffnet Euren kulturellen Elfenbeinturm. Schließt Eure Zuhörer nicht aus. Redet mit ihnen, nehmt sie ernst. So können dann beide Seiten voneinander lernen.
5. Neue Musik lebt auch von Provokation. Solch ein Eklat sollte keine Überraschung sein!
Oft wird in den Artikeln geschrieben: "Solche Reaktionen kamen bei Schönberg Anfang des 20. Jahrhunderts vor, heute sollten wir doch viel klüger, weiter, toleranter sein. Außerdem ist das Stück ja schon fast 50 Jahre alt, also ein alter Hut, da muss sich doch keiner mehr drüber aufregen!" Aber, warum denn nicht? Schließlich setzen diese Stück alle unsere erlernten Hörgewohnheiten außer Kraft. Da gibt es nur wenig, woran man sich "festhalten" kann.
So ein Stück kann gar kein alter Hut sein, so lange unsere Hörgewohnheiten so stark von erhebenden Melodien, sanften Harmonien und immer wiederkehrenden Motiven geprägt sind. Da ist die Neue Musik oft eine Zumutung - und ist dann genauso provokativ, wie sie zu ihrer Entstehungszeit war.
Und soll mir doch keiner sagen, dass die Komponisten das nicht auch einkalkuliert haben: die Provokation, das Aufrütteln, extra gegen die Hörgewohnheiten gehen! Viele Komponisten haben doch die Auseinandersetzung mit dem Publikum gesucht. Auch davon lebt die Musik und auch ihr Ruhm, ein wichtiger Komponist zu sein.
Also, abgesehen von der Fremdenhass-Debatte, die über dem ganzen liegt: Ist es nicht irgendwie toll, das Musik auch heute noch solche kontroversen Reaktionen auslösen kann?